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Von Fluch und Segen des Medikamenteneinsatzes

Die «Wahnsinnsnächte 2015» neigen sich ihrem Ende zu. Am Dienstag wurde im KinoK - Cinema in der Lokremise St. Gallen mit dem Film «Nicht alles schlucken» nochmals ein zu Diskussionen anregender Impuls gesetzt.

St. Gallen. «Ich weiss gar nicht mehr, wie ich ohne Medikamente bin.» «Ich bin ein Zerrbild und wünsche mir Freiheit.» «Man muss Mut haben für 100% Leben mit allem was dazu gehört.» Diese und andere Aussagen im Dokumentarfilm «Nicht alles schlucken» verdeutlichen eindrücklich, welche Auswirkungen der Einsatz von Psychopharmaka in positiver, wie auch negativer Hinsicht hat. Damit setzte man sich am Dienstag im Rahmen der «Wahnsinnsnächte 2015» im KinoK - Cinema in der Lokremise St. Gallen auseinander.

Anregende Diskussionen
Wie Sandra Meier vom «Kinok» erklärte, will dieses Raum für Filme, aber auch für Diskussionen bieten. Genau dieser Raum wurde am Dienstag nicht nur geboten, sondern auch genutzt. Zu sehen gab es zunächst den Film selbst. Menschen, die unter Psychosen leiden, Angehörige, sowie Ärzte und Pfleger erzählen hier vor der Kamera von ihren Erfahrungen mit Psychopharmaka. Dabei schluckten sie nichts ungesagt herunter, sondern fassten in nahezu schonungsloser, aber dadurch besonders wertvoller Ehrlichkeit zusammen, welche Rolle die Medikation für sie spielt. Der Dokumentarfilm bot eine vielstimmige und offene Erzählung über Wirkungen und Herausforderungen von Psychopharmaka. Er berichtet über Gewalt und Ängste, Wut und Hilflosigkeit, aber auch über Hoffnung und Mut. Die Geschichten ermöglichen die Diskussion über Lösungen zu der schwierigen Frage, ob Psychopharmaka heilsam oder kränkend, ein  Segen oder ein Fluch sind.

Mit diesen Anstössen wurde man in St. Gallen dann auch nicht allein gelassen. Im Anschluss an die Filmvorführung wurde die Diskussion mit einem Podium eingeleitet. Den Fragen von Jürg Engler von der Fachstelle Psychische Gesundheit des Kantons St. Gallen und Vertreter des Kantons im «Ostschweizer Forums für Psychische Gesundheit» stellten sich die Fachärztin Psychiatrie- und Psychotherapie Ulrike Hasselmann, sowie  Bruno Facci von der Vereinigung von Angehörigen von psychisch Kranken (VASK). Er konnte sowohl aus Sicht eines Betroffenen, als auch aus der Sicht als ehemaliger Pflegedienstleiter bei den Kantonalen Psychiatrischen Diensten Wil berichten. Er unterstrich die im Film zuvor getroffene Aussage, dass eine von Aufmerksamkeit geprägte Beziehung zwischen Behandelnden und Patienten das Vertrauen stärkt, den Behandlungserfolg erhöht und die Dosierung der Medikamente gleichzeitig vermindern kann.

«Medikamente sind eine Krücke»
Wie im Film, sah er dabei nicht nur die negativen Seiten von Psychopharmaka, sondern wusste auch um deren Nutzen und Notwendigkeiten. «Medikamente sind eine Krücke, die manchmal zwingend notwendig sind. Wie bei einem gebrochenen Bein sollte man aber versuchen, sich auch wieder von den Krücken zu lösen, aber langsam und unter Begleitung», fasste er zusammen.

Als niedergelassene Psychiaterin und Psychotherapeutin konnte auch  Hasselmann  bestätigen, dass insbesondere im Falle eines akuten psychotischen Schubes dringend Medikamente angezeigt seien. Diese wieder abzusetzen sollte aber unbedingt kontrolliert und langsam erfolgen. «Das braucht Zeit.» Zusätzlich plädierte sie für Behandlungsvereinbarungen, die bei einem Treffen ausserhalb eines Akutzustandes getroffen werden sollten. Doch wusste sie auch: «Eine solche Vorgehensweise ist personalintensiv und schwierig abzurechnen; also ein Beispiel für den institutionellen Wahnsinn.» Die Frage nach personellen und finanziellen Kapazitäten sowie danach, was die Gesellschaft leisten kann und will, beschäftigte auch das zahlreiche Publikum.

Während Hasselmann das in der Schweiz mit Tradition verbundene Zusammenwirken von Psychiatrie und Psychotherapie als grossen Wert unterstrich, konnten weitere positive Entwicklungen herausgestrichen werden. So herrschte allgemeiner Konsens über positive Entwicklungen bei den begleitenden Massnahmen wie der Angehörigenarbeit. «Aber es gibt noch viel zu tun», fasste Facci zusammen. «Es ist wichtig, dass noch viel mehr in Netzen gearbeitet wird», stützte Hasselmann seine Aussage. Wo bereits von bestehenden Strukturen profitiert und die passende Hilfe und Unterstützung gefunden werden kann, ist ein Teil der Arbeit des «Ostschweizer Forums für Psychische Gesundheit». Entsprechend konnte sich direkt vor Ort mit Informationsmaterial zu Angeboten in der Umgebung eingedeckt werden. Dieses kann auch direkt auf der Internetseite www.forum-psychische-gesundheit.ch eingesehen und auch bestellt werden.  Denn eine Aussage des Films trifft auf alle Lebensbereiche und jeden zu: «Der grösste Feind ist die Unwissenheit.»