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Von der Suche nach menschlicher Wärme

Am Montag rührte das im Rahmen der Wahnsinnsnächte 2015 aufgeführte Schauspiel «Ein Kuss» das Publikum im Pfalzkeller. Es gewährte ergreifende Einblicke in das traurige Schicksal des berühmten ostschweizer-italienischen Künstlers Antonio Ligabue.

Appenzell. Tief bewegend zog am Donnerstagabend das Schauspiel «Ein Kuss» das zahlreiche Publikum in Appenzell in seinen Bann. Im Rahmen des Kulturfestivals «Wahnsinnsnächte», welches für das Thema psychische Gesundheit sensibilisieren, Wissen vermitteln und dabei ein unterhaltsames Kulturprogramm bieten will, wurde damit eine Facetten des seelischen Ungleichgewichts beeindruckend beleuchtet. Wie der Kurator der Wahnsinnsnächte, Matthias Brüstle, erklärte, gehört das Schauspiel «Ein Kuss» zu den unstrittigen Höhepunkten im diesjährigen Programm. Damit sollte er Recht behalten. Im Gymnasium St. Antonius rührten das Schicksal des Künstlers Antonio Ligabue und die glänzende schauspielerische Leistung von Marco Michel in dem mehrfach ausgezeichneten Bühnenstück Herz und Seele. 

Tragik und Schaffenskraft
2015 wiederholt sich der Todestag des bedeutenden «Art Brut»- Künstlers Antonio Ligabue zum 50. Mal. Mit einem Beitrag von Dr. Renato Martinoni, ordentlicher Professor für italienische Sprache und Literatur an der Universität St. Gallen und Präsident der Schweizerischen Dante-Alighieri-Gesellschaft, über das Leben von Antonio Ligabue in der Ostschweiz stimmte Dr. Sandra Biasotto, Kantonsschule Trogen, das Publikum passend auf das Schauspiel ein. Schon hier wurde klar, dass es kein glückliches, aber von enormer künstlerischer Schaffenskraft geprägtes Leben war, in das man Einblick erhalten sollte.

Wie Biasotto erklärte,  war Ligabue «ein Wahnsinniger, der zerrissen war von innerem Schmerz.» Er hatte nie eine richtige Familie, war unbeständig und aufgewühlt, fühlte sich in der Nähe von Tieren und in der Abgeschiedenheit wohler, als in Kontakt mit Menschen. Doch suchte er Zeit seines Lebens nach menschlicher Wärme und Zuneigung, wie das Schauspiel «Ein Kuss» eindrücklich verdeutlichte. Ende Dezember 1899 als uneheliches Kind einer Italienischen Auswanderin in der Schweiz geboren, wuchs er bei einer Pflegefamilie in der Ostschweiz auf. Was sich wie ein roter Faden durch sein Leben ziehen sollte, begann schon in einer schwierigen Kindheit. Er galt als aggressiv, wurde in das Heim Oberfeld Marbach und später in die psychiatrische Klinik St. Pirminsberg in Pfäfers eingewiesen. 1919 wurde Ligabue schliesslich ausgewiesen und nach Italien verbracht, wo er ebenso Ausländer und gesellschaftlich Aussenstehender war, wie zuvor in der Schweiz.

Der Kuss und damit der Hauch an Zuneigung, nachdem sich Ligabue so innig sehnte, sollte ihm bis zu seinem Tod 1965 in einem italienischen Armenhaus verwehrt bleiben. Die Tragik seines Schicksals offenbarte einen tiefgreifenden, emotionalen Einblick in das Leben des Mannes, welcher der Welt so faszinierende Bilder geschenkt hat.

Mit Kultur zur Erkenntnis Das zum elften Mal veranstaltete Kulturfestival, das ursprünglich nur in Liechtenstein stattfand, hält seit einigen Jahren in enger Zusammenarbeit mit dem «Ostschweizer Forum für Psychische Gesundheit» auch spannende Veranstaltungen in den Kantonen St. Gallen und den beiden Appenzell bereit. Mit den insgesamt 20 Anlässen der «Wahnsinnsnächte 2015» wird das facettenreiche Thema in Anlehnung an das diesjährige Motto des internationalen Tages der psychischen Gesundheit, «Würde und psychische Gesundheit», in vielfältiger Weise aufgegriffen. Dabei werden Denkanstösse gegeben und informiert. Denn eine psychische Krise ist kein persönliches Versagen oder eine Schwäche, sondern kann jeden und jede treffen, fasst Jürg Engler von der Fachstelle Psychische Gesundheit des Kantons St. Gallen und Vertreter des Kantons im «Ostschweizer Forums für Psychische Gesundheit» zusammen. Dem Ziel der «Wahnsinnsnächte», der Stigmatisierung psychischer Erkrankungen durch Erkenntnisse und auf lustvolle Weise etwas entgegen zu setzen, ist man mit der Aufführung in Appenzell wieder einen grossen Schritt näher gekommen.