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Ungewöhnlich, aber notwendig

Wer auf der Kantonsstrasse fährt, sieht bei der Ausfahrt Lichtensteig derzeit Dampf aus den Schornsteinen der Trocknungsanlage aufsteigen. Ein Anblick, der sich sonst üblicherweise eher im Herbst bietet. Doch die nasse Wetterlage macht das Betreiben der Grastrocknungsanlage notwendig.

WATTWIL. Ab kurz vor 18 Uhr herrscht am Dienstagabend Hektik auf dem Gelände der Grastrocknungsanlage Wattwil. Der Landwirt Emil Looser hat alle Hände voll zu tun. Als Betriebsleiter ist er seit nunmehr 24 Jahren für den reibungslosen Ablauf bei der Herstellung von Winterfutterwürfeln zuständig.

Heikler Start

Das feuchte Gras wird von den Landwirten angeliefert und stapelt sich förmlich vor den Toren der Trocknungsanlage. Emil Looser muss sich beeilen und den Brenner der Anlage ständig nachregeln. Denn gerade die erste Fuhre bedarf jeweils einer besonderen Aufmerksamkeit. «Die Temperatur muss genau reguliert werden», beschreibt Emil Looser den schwierigen Part. «Wenn es dann einmal läuft, wird es etwas ruhiger», lacht er zuversichtlich und springt prompt wieder davon, um schnell einige Regler zu betätigen und die Temperatur zu kontrollieren. Denn nur wenn diese konstant ist, werden aus dem zuvor nassen Gras auch hochwertige, trockene Futter-Pellets für die Tiere. Die weissen Rauchwolken, die aus dem Schornstein aufsteigen, bilden sich aus verdampfendem Wasser, welches durch den Trocknungsprozess dem Gras entzogen wird.

Die seit Mitte der 1950er-Jahre betriebene Grastrocknungsanlage Wattwil ist jährlich im Durchschnitt rund 50 Tage in Betrieb. Je nach Wetterlage, also ob der Regen eine vermehrte Nachfrage hervorruft, kann dies aber auch mehr sein, erklärt Walter Rhyner. Er amtiert seit zwei Jahren als Präsident der Trocknungsanlage AG Wattwil. Zwar ist die Hauptsaison der Grastrocknung im September und Oktober, doch läuft die Anlage bei regnerischen Wetterverhältnissen wie in diesem Jahr auch schon im Mai, wie dieser Tage an den aufsteigenden Qualmwolken gut erkennbar ist. Zudem wird die Anlage häufiger auch im August in Betrieb genommen, erklärt Walter Rhyner. In jedem Fall aber sei eine Anmeldung empfehlenswert, wenn man Gras zum Trocknen bringen möchte, da es sonst zu langen Wartezeiten kommen kann, ergänzt der Präsident.

Die Trocknungsanlagen sind insbesondere wichtig für die Landwirtschaftsbetriebe, die Milch für Käsereien produzieren. Zwar können die Kühe das nasse Gras sofort essen, doch eignet es sich nicht für die Lagerung. Die Nässe würde es faulig werden lassen. Dementsprechend muss für die Wintermonate vorgesorgt werden, denn die Milchbauern, deren Milch für die Käseproduktion vorgesehen ist, dürfen kein Silofutter verfüttern, wie Walter Rhyner erklärt. Denn dieses wirkt sich nachteilig auf den Geschmack des aus der Milch entstehenden Käses aus. Um aber das gemähte Gras auch bei wenig Sonnenschein haltbar und für die Wintermonate als Futter nutzbar zu machen, wird es in der Grastrocknungsanlage zu so genannten Futterwürfeln verarbeitet.

Wichtig für die Käsequalität

Zuerst kommt das feuchte Grün auf das Förderband und wird dabei auch gezogen und gelockert, bevor es in die riesige Trommel transportiert wird. Die mit Gas betriebene Trocknungsanlage sorgt dafür, dass das Gras – in einer grossen Trommel stetig gedreht – von allen Seiten gleichmässig und vergleichsweise schnell durch Hitzeeinwirkung getrocknet wird. 21 Motoren sorgen für den reibungslosen Ablauf der ganzen Zeremonie, erläutert Emil Looser. Nach nur rund acht Minuten ist hier auch feuchtes Gras trocken und wird von der Anlage in rund einen Zentimeter dicke Pellets gepresst und geschnitten. Diese können dann problemlos eingelagert und im Winter gefüttert werden. Eine durchschnittliche Ladung Gras benötigt auf diese Weise etwa eine Stunde, um in Futterwürfel umgewandelt zu werden.

Grosser Aufwand für Bauern

Pro 100 Kilogramm Trockengut, also fertiger Futterwürfel, müssen 37 Franken gezahlt werden. Die Aktionäre der Trocknungsanlage AG Wattwil erhalten allerdings einen Preisnachlass.

«Für die Landwirte ist natürlich das Heuen mit Hilfe der Sonne die kostengünstigste und einfachere Variante, um Winterfutter zu erhalten. Aber die Grastrocknungsanlage hat auch einen qualitativen Vorteil, denn durch die schnellere Trocknung bleiben hierbei mehr Vitamine erhalten», kennt Walter Rhyner die positiven Nebeneffekte. Die Grastrocknung stellt generell die verlustärmste Futterkonservierung dar. «Aber man muss auch bedenken, dass die Bauern einen grossen Aufwand in Kauf nehmen müssen, das Gras zur Anlage zu transportieren und die Pellets wieder abzuholen», weiss er ebenso, dass die natürliche Sonnentrocknung im täglichen Betrieb ebenfalls ihre Vorteile hat.

Für die Landwirte bedeutet dies ein stetiges Abwägen. Wer auf besseres Wetter zum Heuen wartet, spart zwar die Kosten der Grastrocknung, kann dafür aber mindestens einmal weniger Schneiden, da das Gras ja wieder Zeit zum Nachwachsen benötigt, erläutert Walter Rhyner. Es kann sich also auch durchaus aus wirtschaftlicher Sicht lohnen, das feuchte Gras in der Trocknungsanlage zu Winterfutter verarbeiten zu lassen und dann zusätzlich das Futterlager noch mit sonnengetrocknetem Winterfutter aufzustocken. Rund 60 Landwirte aus der Umgebung nutzen die Möglichkeit regelmässig, ihr Gras in der Trocknungsanlage Wattwil zu Futterwürfeln aufbereiten zu lassen, schätzt Emil Looser den Umfang seines Kundenstamms ein.