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Reise in eine Zeit des Umbruchs

Der Historiker Pascal Sidler lud am Mittwochabend im Rahmen seines Vortrags bei der Sonntagsgesellschaft Wattwil unter dem Titel „Schwarzröcke, Jakobiner, Patrioten im Toggenburg - Revolution im konfessionell gemischten Toggenburg“ zur spannenden Reise in eine Zeit des Umbruchs.

Wattwil. Dr. Pascal Sidler entführte sein zahlreiches Publikum am Mittwochabend im Thurpark in die bewegte Geschichte der Region zum Ende des 18. Jahrhunderts. „Wir gehen auf eine Reise um etwa 200 Jahre zurück, in eine Zeit, in der im Toggenburg Flugschriften herumgingen“, machte der Historiker auf die vorrevolutionären Jahre in der Region aufmerksam und weckte die Spannung auf seinen Vortrag. Und in der Tat offenbarte sich schnell, welche langfristigen Entwicklungen vor Ort und welche Ereignisse im Weltgeschehen eine Rebellion gegen die bestehenden Herrschaftsstrukturen im Toggenburg nachsichzogen.

Aufrührerische Zeiten
Sehr detailliert beschrieb Pascal Sidler die Umstände, welche dazu führten, dass sich das Toggenburg von der St. Galler Herrschaft befreite und seine Unabhängigkeit erreichte. Die Geschichtsschreibung kann in der Zeit des Umbruchs auf Quellen bekannter Personen zurückgreifen. Vor allem Tagebucheintragungen meist gut situierter Zeitzeugen geben ein sehr genaues Bild dieser Jahre. Die bekanntesten Vertreter waren hier Peter Alois Falk aus St. Peterzell, Johann Jakob Wirth aus Lichtensteig, Fridolin Anton Grob aus Mosnang und der Wattwiler Ulrich Bräker.

Anstoss für die aufrührerischen Zeiten war die französische Revolution. Doch liegen die eigentlichen Wurzeln schon einige hundert Jahre zuvor. „Eine Revolution fällt meistens nicht vom Himmel“, kommentierte Pascal Sidler. „Seit der Reformation, zieht sich die Konfessions-Konfliktlinie wie ein roter Faden  durch das Toggenburg“, beschreibt Pascal Sidler. Das Toggenburg stand aber unter der Herrschaft der katholischen Landesherrn. Aus der Konfession ergaben sich in dieser Zeit Nachteile, so durften beispielsweise bestimmte Berufe nicht ausgeführt werden.

Gleichzeitig gaben viele Bauern ihr Land auf und verdienten nun nicht mehr Krisensicher als Lohnarbeiter ihren Lebensunterhalt in der Baumwollindustrie. Diese brachte wiederum Aufsteiger aus den Reihen der Reformierten  hervor. Sie bildeten eine neuartige Mittelschicht, die wirtschaftlich gut situiert waren, aber auf politischer Ebene nicht den gewünschten Einfluss hatten. Als weiterer Faktor muss zudem das Aufkommen neuer Kommunikationswege durch das Erwachsen des Zeitungswesens genannt werden, was Nachrichten aus aller Welt einer breiteren Masse zugänglich machte.

Rufe nach Eigenständigkeit
Das Toggenburg befand sich während der Jahre des Umbruchs folglich in einer politischen, sowie für die einfachen Leute auch wirtschaftlichen Krise. 1795 kam es während des Marktes und der Landratstagung in Lichtensteig zu einem wahren Volksauflauf mit Tumulten. Als Folge berief man in Mogelsberg eine „freie Gemeinde“ ein, wo man eigene Ausschüsse als Parallelinstitutionen zum Landrat wählte, welche die Interessen der Menschen vertreten sollten und auf Veränderungen drängte. Die lokale Mittelschicht bäumte sich auf und forderte eine eigene Grundorganisation, wie man sie im Toggenburg bereits kannte.

Während sich die Obrigkeit zunächst passiv verhielt, wuchs der Druck zum Handeln, bis schliesslich auch unter Druck der eigenen Organisationsstruktruren und durch die Mobilisierung der Massen erwirkt wurde, dass die Beschwerden der Ausschüsse vor dem Landrat behandelt werden sollten. Durch den Tod des Fürstabtes Beda Angehrn verzögerten sich schliesslich die Verhandlungen, aber unter dem Druck eines erneuten Aufbegehrens vor einer Landratssitzung machte man 1797 schliesslich erhebliche Zugeständnisse. 1998 führte schliesslich ein „Patriotischer Aufruf“, der einer Unabhängigkeitserklärung der Region gleichkam, zur Revolution. Am 1. Januar 1798 trat der letzte fürstäbtische Landvogt Karl von Müller-Friedberg zurück und entliess das Toggenburg eigenmächtig in die Unabhängigkeit, womit er endgültig die Herrschaft der Fürstabtei St. Gallen beendete.