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Es gäbe noch viel zu verbessern

Anna Giambanco aus dem Glarner Hinterland beobachtet ihre Wohnregion seit vielen Jahrzehnten und weiss: Hier ist es wunderschön, aber Glarus Süd krankt auch an einem Mangel an potentiellen Arbeitsplätzen, einer relevanten Infrastruktur und in der Folge an dem Ermüden des sozialen Lebens.

Luchsingen. – Die bald 78-jährige Anna Giambanco wohnte 45 Jahre lang in Diesbach und nun seit vier Jahren in Luchsingen. Sie kennt das Glarner Hinterland damit bestens und weiss um dessen Stärken und Schwächen. Als engagierte und interessierte Person, hat sie nicht nur die Veränderungen der vergangenen Jahrzehnte genau beobachtet, sondern hat auch manche Idee im Köcher, wie man Verbesserungen erwirken könnte.

Immer individualistischer
Ein positives Zeugnis kann die Mutter von vier Kindern und zweifache Grossmutter den jungen Leuten ausstellen. So seien diese deutlich interessierter, als es ihr Ruf vermuten lasse. Dies schlägt sich auch im Verhältnis zwischen Schweizern und Zuwanderern nieder. Während hier in den 60er Jahren beispielsweise im Vereinsleben noch eine klare Trennung vorherrschte, wie sie als Ehefrau eines Sizilianers aus eigener Erfahrung berichten kann, sei man diesbezüglich heute einsichtiger.

Trotz dieser kulturellen Annährung ist die Gesellschaft aber immer individualistischer geworden, was dem Dorfleben wiederum nicht zum Vorteil gereiche, wie sie als geselliger Mensch bedauern muss. „Seitdem alle mobiler geworden sind und es gleichzeitig kaum noch gescheite Beizen mehr gibt, die Menschen also weniger zusammensitzen und sich austauschen, geht mehr und mehr jeder seinen Weg und schliesst die Türe hinter sich“, stellt sie fest. Auch das Vereinsleben sei immer mehr eingeschlafen und der Kontakt zwischen den Generationen ist mehr und mehr verloren gegangen. So würde sie sich selbst durchaus an einer regelmässigen, offenen Gesprächsrunde zu den unterschiedlichsten Themen erfreuen, wie sie erzählt. Denn Anna Giambanco ist nicht nur vielseitig interessiert, sie hat auch etwas zu sagen.

Engagement und Mut
Dementsprechend leicht fällt es ihr, Punkte zu benennen, die sie ändern würde, wenn sie die Macht dazu hätte. „Ganz grundsätzlich würde ich mehr auf Soziales setzen“, hält sie fest. „Hier fehlt es nicht nur an Geld, sondern auch an Menschlichkeit und Verständnis.“ Ein Beispiel dafür ist der Umgang mit Menschen mit Behinderung. Selbst durch einen Verkehrsunfall Ende der 1960er Jahre stark verletzt, kämpft Giambanco seither mit einer Behinderung, die sie im Verlauf der Zeit in den Rollstuhl zwang, an den sie seit 2007 gebunden ist. Aus dieser Betroffenheit und ihrem Engagement heraus, setzt sie sich für die Belange der Menschen mit Behinderung ein. Energie zieht sie dabei aus einer positiven Grundeinstellung. „Ich will nie ein verbitterter Mensch werden“, fasst sie zusammen. Ihre Kraft, ihr Mut und ihr Optimismus suchen dabei trotz der Schicksalsschläge, die sie erleben musste, ihres Gleichen.

Dabei ist sie nicht nur seit bald 40 Jahren Kassierin bei Procap, dem früheren Schweizerischer Invalidenverband, wo sie viele Meilensteine und wichtige Errungenschaften miterleben konnte. Doch ist nach wie vor viel zu tun. Dazu gehört auch die Orientierung und Information der Menschen und eine grössere Aufmerksamkeit füreinander.

Lokale Ansprechpartner einsetzen
Um hier für Verständnis zu werben, schlägt Giambanco vor, dass jeder einmal einen Tag einen Menschen mit Behinderung begleiten sollte, um zu sehen, wo für diesen die Schwierigkeiten im Alltäglichen liegen, um möglichst selbstbestimmt leben zu können. Dies geht los beim nicht rollstuhlgängigen Zugang zu Arztpraxen, Restaurants, Geschäften und allgemein öffentlichen Gebäuden. Speziell hier engagiert sich Giambanco, indem sie bei Neu- und Umbauten auf die Belange all derer aufmerksam macht, die nicht gut zu Fuss sind – egal ob durch eine Behinderung, eine Verletzung oder das Alter. „Hier könnten sich auch die Behörden stärker engagieren“, hält sie fest.

An diese Adresse hat sie auch noch eine weitere Botschaft: „Durch die Gemeindestrukturreform ist viel verloren gegangen bei den einzelnen Gemeinden und es ist nichts besser oder billiger geworden. Da die Behörden nicht mehr vor Ort sind fehlt der Kontakt zu den Menschen und die Entscheidungen werden weit weg getroffen“ hält sie fest und hat auch einen Lösungsvorschlag: „Wenn jeder Ort einen Ansprechpartner hätte, der als lokaler Mittelsmann dient und die Belange der Menschen sammelt, könnte das helfen.“ 

Verpasst wurde zudem, nach dem Eingehen der Textilindustrie ab den 1950er Jahren Impulse dafür zu setzen, dass sich andere Arbeitgeber im Glarner Hinterland ansiedeln. „Daran krankt Glarus Süd“, stellt Giambanco fest. Denn ein Mangel an potentiellen Arbeitsplätzen führt dazu, dass die jungen Familien nicht bleiben und keine herziehen. Dies wiederum zieht das Ermüden des sozialen Lebens nach sich, und die Einkaufsmöglichkeiten sowie die komplette Infrastruktur verkümmern zusehends, führt sie die Zusammenhänge fort. Daraus resultierend formuliert sie ihren guten Rat an die nachfolgenden Generationen auch mit Blick auf die eigene Aktivität: „Man darf nicht immer nur darauf hoffen, dass andere etwas machen. Jeder Einzelne sollte sich überwinden und etwas tun.“