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Faszination und Engagement für die Historie

August Berlinger ist nicht nur als Innendekorateur, sondern auch als Stadtführer bestens bekannt in Glarus. Seit 1999 geleitet er Interessierte durch den Hauptort des Kantons und engagiert sich in der Dokumentationsarbeit für den Glarner Industrieweg und die Stiftung „Pro Glarus“.

Glarus. – August Berlinger aus Glarus ist umtriebig im Einsatz für die Dokumentation, Information und den Erhalt der historischen Bauten und Anlagen seines Wohnortes und des Kantons. Zu dieser Tätigkeit kam er durch den Verein „kulturaktiv“, der seinerzeit neben speziellen Stadtführungen und Besichtigungen in Glarus auch Architekturreisen und andere kulturelle Aktivitäten anbot. Das weckte das Interesse des gelernten Tapeziermeisters und Dekorateurs. „In meinem Beruf gehörte es damals noch dazu, einen Auslandsaufenthalt zu absolvieren – am Besten in Paris. Das war fast ein Muss und so habe ich es auch gemacht. In Paris ist dann mein Interesse an der Architektur richtig aufgekeimt“, schaut er zurück.

Fasziniert vom Wasser
Aus diesem Interesse an der Architektur, der Wanderfreude und seinen vielfältigen Kenntnissen, die er aus seiner Arbeit beim Gemeindearchiv mitbrachte, entwickelte sich seine starke Affinität zur Industriegeschichte. Da der Kanton nicht nur reich an Naturschönheiten ist, sondern auch als Industriestandort viele spannende Facetten zu bieten hat, fand sich hier ein weiteres Betätigungsfeld für Berlinger. Zunächst als reine Freizeitbeschäftigung beim Wandern, faszinierten ihn die Wasserableitungen, wie er berichtet. „Wasser und Wasserenergie finde ich grundsätzlich sehr spannend.“ So wundert es nicht, dass Berlinger auch während der Sanierung des Linthwerkes Führungen leitete.

„Leider ist kulturaktiv nicht mehr aktiv wie einst“, hält Berlinger fest. „Aber damals kam das eine zum anderen und so hat es sich aufgeschaukelt. Meine geschichtlichen und industriehistorischen Kenntnisse vom Ort Glarus haben sich parallel, aber unabhängig zu „kulturaktiv“ entwickelt und gründen auf eigenen Interessen und Beobachtungen, meiner zehnjährigen Tätigkeit als Teilzeit-Archivar der ehemaligen Gemeinde Glarus, den Fragen von Führungsteilnehmenden in der „Stadt”, auf dem Glarner Industrieweg oder dem Linthwerk, der Erarbeitung der Ausstellung zum Gedenkjahr "Brand von Glarus” und dem Austausch mit ähnlich orientierten Laien und Fachleuten.“ So kam es, dass er heute neben den Stadtführungen auch ehrenamtlich an Dokumentationen für das Archiv des Glarner Industriewegs mitarbeitet. Hier werden industrielle Bauwerke dokumentiert, die man umbaut oder die ganz verschwinden sollen. „Durch all diese Tätigkeiten sind die (fast) vollständige Zusammenstellung von Akten zu Brand und Wiederaufbau von Glarus, die Fotosammlung der Gemeinde, Dokumentationen zu Alltäglichem wie Beizen, Brunnen, Prellsteine usw., eine Mitarbeit am Buch über Schweizer Städtebilder der Uni Zürich und ein paar Referate, Artikel und Broschüren entstanden. Das meiste ist eine Art Fortsetzungsgeschichte.“ 

Den Gründen auf den Grund gehen
Was ihn persönlich an dieser vielfältigen und aufwendigen Arbeit besonders reizt, ist die Analyse der historischen Entwicklung. „Ein namhafter Geschichtsprofessor hat einmal gesagt: Geschichte ist immer der letzte Stand des Irrtums -  und so gibt es auch bei den Stadtführungen immer wieder neue Erkenntnisse, die mit alten Annahmen aufräumen. Das macht es spannend“, erklärt er. „Mich hat schon immer interessiert, welche Gründe und Gegebenheiten zu einer bestimmten geschichtlichen Entwicklung geführt haben und was man daraus gemacht hat.“ So kann Berlinger auch aus dem Stehgreif viele frühere Annahmen über die städtische Entwicklung von Glarus widerlegen. So waren beispielsweise die breiten Strassen des Kantonshauptortes nicht eine Massnahme des Brandschutzes, sondern ein Mittel der Selbstdarstellung.

„Besonders spannend ist auch, wie die Topografie den Bau der Fabriken bestimmt hat und dieser wiederum die Entwicklung der Verkehrswege, welche schliesslich die Entstehung der Wohnquartiere der Berufspendler bestimmen, da nicht mehr genug Arbeitsplätze vor Ort vorhanden sind“, beschreibt er die Kausalitäten. Damit eng zusammenhängend steht auch ein weiteres Betätigungsfeld von August Berlinger, der sich ebenso als Aktuar in der Stiftung „Pro Glarus“ engagiert.

Die seit 2001 bei der Gemeinde domizilierte Stiftung beruht auf einer Spende anlässlich des in Glarus gefeierten 90. Geburtstages von Anna Elsa Zopfi-Baer, die ihren Heimatort als 24-Jährige verliess, um in Amerika den bereits ausgewanderten Schwander Bill Zopfi zu heiraten. Sie übergab der Stiftung das Grundkapitel von 300‘000 Franken, um die prägenden Planungs- und Architekturelemente des historischen Stadtkerns optisch zu erhalten.

Glarner Besonderheiten
Die Stiftung bietet dabei fachliche Beratung und sogar finanzielle Unterstützung bei Planungs- und Restaurationsarbeiten. Dazu gehören beispielsweise ein Farbberatungsservice, den die Bauverwaltung vermittelt. Zudem kann die Stiftung Beiträge an die Mehrkosten für den Erhalt von historischen Haustüren, Wirtshausschildern, typischen Gartenmauern und ähnlichem sprechen. „Die Grundlage ist ein denkmalschützerischer Gedanke auf lokaler Ebene“, erklärt Berlinger. „Die Angebote sind für die Bauherren unverbindlich, können aber eine sehr gute Hilfe sein und werden leider noch zu wenig genutzt, denn die Arbeit der Stiftung hat sich bereits gelohnt und man kann auch als Bauherr von der kostenlosen Beratung profitieren“, hält er fest.

Die Erhaltung des Ortsbildes liegt Berlinger sehr am Herzen, und er ist überzeugt, dass dies auch in moderner und zweckdienlicher Weise geschehen kann. „Das heisst nicht, dass alles alt aussehen soll. Aber Glarus verfügt über die Besonderheit, dass es nicht langsam gewachsen ist, sondern durch den grossen Brand in sehr kurzer Zeit ein Monolith entstanden ist, der erhaltenswürdig ist. Es gibt leider Beispiele, die zeigen, wie Architekten an der schwierigen Aufgabe gescheitert sind.“

Als umtriebiger Ästhet, der sich stark für seinen Heimatort engagiert, wünscht er sich für die Zukunft vor allem eines: Die höhere Wertschätzung der Freiwilligenarbeit. „Wir sind uns oft nicht bewusst, was wir in diesem Bereich in Zukunft noch stemmen müssen, da der Staat nicht alle Aufgaben bewältigen können wird. Denn auch wenn das Prestige einer Sache weg ist, bleibt am Ende die Arbeit trotzdem. Auf der anderen Seite entwickelt sich bei den Menschen aber auch noch eine Anspruchshaltung gegenüber der Freiwilligenarbeit. Das passt nicht zusammen und man kann dann irgendwann nicht mehr auf das Engagement der Freiwilligen hoffen.“