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Geschichten aus der Bahnhöfli-Bar

Die Kellerbühne Grünfels wurde am Samstagabend zur Bahnhöfli-Bar. Roman Wyss und Philipp Galizia entführten hier das Publikum mit Musik und Geschichten in eine Welt zwischen den Abstellgleisen des Lebens.

Rapperswil-Jona. – Stimmengewirr und Gläserklirren vor dem Hintergrund einer Nackten im Zeitungsständer, einer bunten Bierwerbung an der Wand und einem abgenutzten Jassteppich. Man konnte den Geruch nach schalem Bier förmlich riechen und am Samstagabend in der Kellerbühne Grünfels in die Geschichten aus der Bahnhöfli-Bar abtauchen.

Spezielle Beizli-Atmosphäre
Der Bahnhöfli-Pianist Dave, alias Roman Wyss und der Bassist und Erzähler Martin, Philipp Galizia, schufen eine nostalgisch-humorvolle Atmosphäre voller Melancholie und Charme, die es nicht schwer machte, sich umgehend in eben eine solche Bahnhofsbeiz hineinzudenken und wie ein Gast zu beobachten, wer dort ein- und ausgeht. Denn mit jedem und jeder kommt auch eine Geschichte an den Tresen. Umso trefflicher auch der Titel des Abends „Nachtschatte - Geschichten aus der Bahnhöfli-Bar".

In Geschichten und Chansons verpackt, lieferten die beiden Musiker eine geglückte Hommage an die „Bahnhöfli-Bar“ und die dort beheimateten Sehnsüchte, Träume, Wünsche, Hoffnungen und eben auch deren Ableben im Schatten der Realität. Doch waren die einzelnen Schicksale alles andere als kühl und desillusionierend vorgetragen, sondern hatten eher etwas Liebenswertes. Hier konnte man teilhaben, mitfühlen und die so verbreitete Stimmung geniessen.

Menschen und Geschichten
Die Seele des fiktiven Lokals wird bestimmt durch die für die Stadt der Liebe schwärmenden Eveline, der Schnitzel klopfenden Besitzerin der Bahnhöfli-Bar, sowie durch Stammgäste wie dem Aphoristiker Gödel oder Charlie, den unfreiwilligen Poeten. An diesem Lieder- und Erzählabend traf man aber unter anderem auch auf den liebeskranken Heini, der mit seiner Marie zusammenpasst „wie ein Dosenöffner auf seine Dose“, oder die schöne Zeichnerin Dorothee und den stillen Pepe, der immer gern die Wand im Rücken hat, Sie alle stranden in der Bar, bringen ihr Leben und ihre Geschichten mit. Denn sie sind die Nachtschattengewächse, die im Mikrokosmos der Bahnhöfli-Bar ihren natürlichen Lebenstraum, ja irgendwie ihr Zuhause und ihren Ort zum Vergessen gefunden zu haben scheinen – nicht auf, sondern neben dem Abstellgleis.

In Mundart-Liedern und Erzählungen, gesungen und gesprochen, voll von bildhaften Metaphern und charmanter Figuren taucht man mit dem Duo ein in diesen Mikrokosmos. Und man ging umso freudvoller mit auf die Reise in das Leben der so grossartigen kleinen Leute, der verschrobenen Gestalten, da diese auch noch musikalisch hervorragend und mit erfrischender, sozialkritischer Note präsentiert wurde.

Schwermut und Leichtigkeit
Der Aargauer Musiker, Erzähler & Schauspieler Philipp Galizia ist seit 1986 auf Bühnen mit Les Schapoo, Familie Trüeb, Tandem tinta blue, Pfannstil Chammer Sexdeet und seit 2002 mit seinen Stücken „Am Seil abelo", „Jakob Engel“, „Läufig“, „Roti Rösli“ und „Gratis zum Mitnehmen“ unterwegs. Als Erzähler glänzt er mit sprödem Charme, als Texter der Geschichten aus der Bahnhöfli-Bar beweist er nicht zuletzt einen Blick für die Menschen. Klanglich konnte er sich zudem voll auf Roman Wyss an seiner Seite verlassen, der innerhalb der Inszenierung auch die musikalische Leitung innehatte. Fern ab des Kitsches und doch so herrlich klischeehaft gestalteten die beiden unter der Regie von Paul Steinmann einen durch und durch gelungenen Abend zwischen Schwermut und Leichtigkeit, zwischen Humor und Tragik und mitten im Leben.