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„Mit jedem Menschen einen respektvollen Umgang pflegen“

Anna Bernet durfte dieser Tage ihren 99. Geburtstag feiern. Die Gommiswaldnerin hat den Grossteil ihres Lebens in der Gemeinde verbracht. Und dieses verlief nicht unbedingt typisch für damalige Zeiten. Gerade deshalb hat sie einen klaren Blick auf die Welt und ihr Heimatdorf.

Gommiswald. Anna Bernet ist als eines von drei Kindern in Gommiswald geboren und aufgewachsen. Heute ist sie mit 99 Jahren die zweitälteste Gommiswaldnerin und lebt im Altersheim Haldrain, hält also ihrem Heimatort nach wie vor die Treue. Trotz bescheidener finanzieller Möglichkeiten der Familie, berichtet sie von einem glücklichen Leben, in dem sie auch die Veränderungen im Ort und in der Gesellschaft beobachten konnte. Ihr Vater war als Forst- und Gemeindearbeiter tätig, die Mutter war Hausfrau und verdiente mit Heimarbeit etwas dazu. „Früher war die Stickerei, die auf dem heutigen Stalgo-Areal angesiedelt war, der Hauptarbeitgeber im Ort, wo sich viele Familien die Haushaltskasse aufbessern konnten“, erinnert sie sich an diese Zeiten. Denn bis auf wenige Ausnahmen war die Bevölkerung alles andere als vermögend. Die Mehrheit war eher arm, blickt Anna Bernet zurück. „Trotzdem hatten wir ein gutes Leben. Zudem betraf es fast alle und die Unterschiede waren nicht so gross wie heute.“

Grösster Arbeitgeber verschwand
Nachdem die Stickerei aus Gommiswald verschwand, sollte es nie wieder ein Unternehmen geben, das so vielen Menschen im Ort Arbeit bot, beschreibt die Seniorin einen Umbruch. „Später siedelte sich eine Papierfirma an und es sind andere Unternehmen hinzugekommen, aber das Verschwinden der Stickerei markierte einen Wandel.“ Verändert haben sich mit den Jahrzehnten auch das Ortsbild, das nun mehr durch Wohnblöcke statt Einfamilienhäuser geprägt ist, sowie die Infrastrukturen der Gemeinde. „Eine Primarschule hatten wir beispielsweise schon immer im Ort, aber früher mussten die Schüler ab der Sekundarstufe nach Benken oder nach Uznach.“ Dorthin machte man sich auch auf den Weg, wenn man neue Kleider oder speziellere Artikel benötigte. Die Einkaufssituation für den täglichen Bedarf aber war in Gommiswald auch in der Jugend von Anna Bernet nicht die schlechteste. „Wir hatten zwei Schuhmacher und mehrere Tante-Emma-Läden, konnten also vieles hier im Ort einkaufen. Heute haben wir dafür Coop und Denner.“

Was eine funktionierende Gemeinde ausmacht, kommt im Gespräch mit der 99-Jährigen deutlich zum Vorschein. So war sie selbst beispielsweise nie verheiratet. Was heute ein durchaus üblicher Weg ist, war für eine junge Frau in der ersten Hälfte des letzten Jahrhunderts alles andere als der Regelfall. „Ich habe nie geheiratet, weil ich mich für meine Eltern verantwortlich gefühlt habe, die nicht viel Geld hatten und Hilfe brauchten“, erklärt sie. So ging Anna Bernet Geld verdienen, statt eine eigene Familie zu gründen. Bei den Gommiswaldner aber stiess sie damit nicht auf Ablehnung, wie man hätte vermuten können. Im Gegenteil: „Man hatte einen guten Zusammenhalt im Dorf und ich hatte nie das Gefühl, dass mein Lebensweg nicht akzeptiert oder kritisiert wurde. Ausserdem habe ich mich dennoch nie allein gefühlt, obwohl ich auch das Alleinsein bis heute sehr gut ertrage. Aber ich habe es ebenso gern, wenn ich Besuch bekomme.“

Eine Meinung haben
Abgesehen von der Akzeptanz ihrer Entscheidungen im Dorf, kann Anna Bernet auch über viele schöne Erinnerungen an ihre Arbeit berichten. Nachdem sie zunächst als Hausangestellte in Uznach und später in Weesen gearbeitet hatte, bekam sie eine Anstellung im Service und sollte später 20 Jahre lang bei der Firma Streuli in Uznach arbeiten. „Das hat mir immer besonders grosse Freude gemacht.“  Unter anderem war sie in einem Hotel im Berner Oberland tätig und erzählt: „Am Ende der Saison hatte das Personal die Möglichkeit, zum vergünstigten Preis auf das Jungfraujoch zu fahren. Erst habe ich überlegt, ob ich das machen soll, da es trotzdem ja einiges gekostet hat und das Geld nicht leicht verdient war. Aber dann habe ich mich entschieden, die Gelegenheiten zu nutzen, wie sie sich einem bieten und das habe ich bis heute nicht bereut.“ 

Und genau diese Empfehlung kann sie weitergeben. Ebenso wie einen weiteren guten Rat. Als Frau aus einer Generation, die erst im Alter von 55 Jahren das Stimmrecht erhalten hat, weiss sie um dessen Wert. „Ich habe zwar nicht bei allem mit abgestimmt, habe mich aber besonders für das Geschehen in der Gemeinde selbst interessiert“, erklärt sie. „Ich denke, dass natürlich auch die nationale Politik genauso wichtig ist, aber man sollte auch im eigenen Gärtli schauen.“ Überhaupt sei es wichtig, am Entscheidungsprozess teilzunehmen und dabei auch Mitgefühl an den Tag zu legen, spielt sie auf die aktuelle Flüchtlingsfrage an. So erinnert sie sich noch gut an die Zeit im zweiten Weltkrieg, wo sie selbst nicht nur im sprichwörtlichen Sinne auf gepackten Koffern sass. „Wir waren fast alle bereit, falls wir von einem Tag auf den anderen hätten flüchten müssen. Das gleiche Schicksal hätte auch uns ereilen können, deshalb sollte man nie vergessen, wie wichtig es ist, mit jedem Menschen einen respektvollen Umgang zu pflegen, egal wo er herkommt.“